Rechtspopulismus in Europa - Eine Gefahr für die Demokratie
28. April 2018
Marcus Spittler
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Ob rechtspopulistische Parteien eine Gefahr oder ein Korrektiv für Demokratien darstellen, ist Bestandteil einer extensiven theoretischen Debatte. Eine europaweit vergleichende empirische Analyse zeigt, dass indirekte Effekte rechtspopulistischer Parteien auf die Demokratiequalität rar sind. Während sich mit dem elektoralen Erfolg der Parteien Partizipation und Wahlbeteiligung bedingt verbessern, zeigen sich negative Effekte für Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Erst wenn Rechtspopulisten Teil der Regierung sind haben sie einen direkten negativen Effekt auf die Demokratiequalität.

Whether right-wing populist parties pose a threat or a corrective for democracies has been a matter of extensive theoretical debate. We have examined the effect these parties exert on democratic quality by means of a comparative quantitative analysis in Europe. We find that when in government, right-wing populists have a direct negative effect on democratic quality. Indirect effects are rare. While the presence of populists enhances participation and partly turnout, they have a negative influence on the public sphere.

Wer etwas über den Zustand der europäischen Demokratien erfahren möchte, kommt um das gegenwärtige Phänomen des wachsenden Rechtspopulismus nicht umher. Seit den späten 1980er Jahren haben Rechtspopulisten es geschafft, fester Bestandteil der Parteiensysteme fast aller europäischen Länder zu werden. In Westeuropa liegt ihr durchschnittlicher Stimmanteil zwar nur bei vergleichsweise moderaten 9 Prozent (15 Prozent in Osteuropa), was jedoch nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass rechtspopulistische Parteien in einigen Ländern große, wenn nicht gar zur größten Partei geworden sind. Mit diesen Wahlerfolgen hat sich auch ihr Zugang zu politischer Macht vergrößert. So sind Rechtspopulisten formelle und informelle Unterstützer von Minderheitsregierungen (wie etwa in Dänemark und den Niederlanden), werden von Mainstream-Parteien als Koalitionspartner akzeptiert und führen Regierungskoalition sogar an, wie in Italien oder Kroatien. Dabei haben sie sich, gegen die Erwartung einiger Beobachter, über die Zeit keineswegs selbst entzaubert oder gar ihre populistische Rhetorik enthärtet. Eine rhetorische oder programmatische Annäherung an die Parteien des politischen Mainstreams fand nicht statt. Stattdessen, wie das Beispiel der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) zeigt, können Rechtspopulisten durchaus in Regierungsverantwortung gelangen, dort scheitern und sich dennoch wenige Jahre später großer Beliebtheit bei Wählerinnen und Wähler erfreuen.

Zeitgleich mit dem Aufstieg rechtspopulistischer Parteien ist eine in Wissenschaft und Öffentlichkeit gleichermaßen geführte Debatte darüber entbrannt, ob der Populismus eine ernste Bedrohung für liberale Demokratien darstellt. Während einige Beobachter den Populismus als krankhafte Störung der Demokratie beschreiben, sind andere bereit, durchaus positive Aspekte, wie die Wiederbelebung des politischen Diskurses anzuerkennen. Als positives Argument wird oft angeführt, dass der Populismus Defizite des politischen Systems klar benennen würde. Populisten seien damit so etwas wie der betrunkene Freund auf einer Dinner-Party. Frei von Konventionen spricht er losgelöst von vermittelnden Institutionen unbequeme, vermeintliche Wahrheiten an. Auch die Populisten selbst gerieren sich gerne als die “Retter der Demokratie”. Gegen dieses positive Bild spricht allerdings der aus zahlreichen Einzelfallstudien gewonnene Eindruck, dass rechtspopulistischer Regierungen, wie etwa jene der Recht und Gerechtigkeit (PiS) in Polen, wenn sie im Amt sind, wiederholt Angriffe auf die Gewaltenteilung, insbesondere die Verfassungsgerichtsbarkeit unternommen haben. Die Frage die sich stellt ist, ob diese Parteien unabhängig von Einzelerscheinungen in der Lage sind unsere Demokratie zu gefährden, so dass man ernsthaft über deren Dekonsolidierung nachdenken muss.

Das Verhältnis von Demokratie und Populismus

Bevor man etwas zum Verhältnis von Demokratie und Populismus sagen kann, muss sehr genau definiert werden, was unter den beiden Begriffen zu verstehen ist. Besonders Populismus, ein Begriff der gerne als Vorwurf verwendet wird um dem politischen Gegner ein negatives Label anzuheften, gilt als notorisch vager Term. Das liegt vor allem daran, dass so manche Definition von Populismus bereits eine Beziehungsbeschreibung zur Demokratie beinhalten. Der Politologe Jan-Werner Müller, der ein lesenswertes populärwissenschaftliches Buch zum Thema geschrieben hat, positioniert sich: Populisten zeichneten sich nicht nur durch ihre Elitenkritik aus, sondern ihr alleiniger Volksvertretungsanspruch ist aus seiner Sicht klar anti-pluralistisch und damit demokratiefeindlich. “Wir sind das Volk”, so interpretiert er, meint in den Augen der Populisten “Wir, und nur wir, vertreten das Volk”.

Um sich dem Gegenstand jedoch möglichst ergebnisoffen zu nähern, wird Populismus hier, im Sinne einer Minimaldefinition, als dünne Ideologie verstanden. Dünne Ideologie deshalb, weil der Populismus nicht alleine, sondern nur in Verbindung zu einer Kernideologie bestehen kann, die die ansonsten leeren Begriffe Volk und Elite mit Inhalt füllt. So eine Kernideologie kann, wie im Fall der Rechtspopulisten, Nationalismus und Nativismus sein, für die politische Linke der Sozialismus, aber auch ein Populismus der Mitte ist vorstellbar. Populismus selbst beschreibt die Vorstellung davon, dass die Gesellschaft in zwei sich antagonistisch gegenüberstehende Gruppen eingeteilt ist, auf der einen Seite das “wahre Volk”, das von einer “korrupten Elite” um ihren Willen, der Volonté générale, gebracht wird. Populismus ist also eine überzogene, feindselige Elitenkritik, die gleichzeitig die Vorstellung transportiert, es gäbe so etwas wie einen einheitlichen, homogenen Volkswillen. Diese Definition erlaubt es, sowohl positive als auch negative Effekte des Populismus auf die Demokratie und ihre Qualität zu beobachten.

Dazu wurde hier eine vergleichende Analyse aller EU-Staaten plus Norwegen und der Schweiz von 1990 bis 2014 vorgenommen. Genauer wurde für alle 290 Kabinette in diesem Zeitraum die jeweilige elektorale Stärke rechtspopulistischer Parteien, deren Beteiligung an der Regierung, sowie die Demokratiequalität analysiert. Zur Messung der Demokratiequalität wurde auf das Demokratiebarometer zurückgegriffen, da dieses nicht nur erlaubt, die Gesamtqualität des politischen Systems in den Blick zu nehmen, sondern auch Unterfunktionen der Demokratie. Solche Unterfunktionen oder Prinzipien sind horizontale und vertikale Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit und Bürgerrechte, die neben der Kernfunktion der Wahlen gemeinsam Demokratie bilden. Demokratie wird hier als anhand des Konzepts der embedded democracy definiert und ist dementsprechend ein mittleres, liberales Demokratiemodell.

Negative Effekte der Rechtspopulisten überwiegen

Das Ergebnis der Regressionsanalyse zeigt klar, dass Rechtspopulisten direkte, negative Effekte auf die Demokratiequalität haben. Diese direkten Effekte treten dann auf, wenn Rechtspopulisten in Regierungsverantwortung sind und über ihre Parlamentsmehrheit den unmittelbaren Zugriff auf die Gesetzgebung haben. Der Zusammenhang verstärkt sich noch weiter, wenn Rechtspopulisten die Führung der Regierungskoalition übernehmen. Interessanterweise sind jedoch keine signifikanten Effekte zu beobachten, wenn Rechtspopulisten nur als Unterstützer einer Regierung fungieren. Eine Tolerierung durch eine rechtspopulistische Partei scheint also weniger schädlich für die Demokratie zu sein, als zunächst angenommen.

Indirekte Effekte treten dann auf, wenn alleine die elektoralen Erfolge von Rechtspopulisten zu Anpassungsprozessen bei Regierungen, in Parteien, aber auch etwa in der Medienlandschaft führen. So zeigt sich, dass je höher das Wahlergebnis für rechtspopulistische Parteien ausfällt, desto stärker auch die Demokratiequalität im Bereich der Öffentlichkeit abnimmt. Während Populisten für sich behaupten, den öffentlich Diskurs von liberalem Elitismus zu befreien, zeigt sich hingegen, dass Populisten eher zu einer Polarisierung innerhalb der Gesellschaft beitragen. So betrachten Populisten ihre politischen Gegner keinesfalls als legitime Mitstreiter, sondern vielmehr als ihre Feinde. Darüber hinaus tragen sie häufig zur Etablierung alternativer Nachrichtenquellen von zweifelhafter Qualität bei und damit zu einer stereotypen Darstellung von Migranten und anderen Gruppen, die sie als nicht nativ betrachten.

Bedingt lassen sich jedoch auch positive, indirekte Effekt von Rechtspopulisten auf Partizipation und Repräsentation beobachten. Denn immer mehr rechtspopulistische Parteien nehmen eine Position im politischen Raum ein, die von den Altparteien nicht abgedeckt wird. So wechselte etwa die niederländische Freiheitspartei (PVV) von einer neoliberalen Wirtschaftspolitik hin zu mehr Unterstützung für Wohlfahrtsprogramme. Damit gelingt es ihnen besonders ökonomisch links, aber kulturell autoritär eingestellte Wählergruppen anzusprechen und vormalige Nichtwähler zur Wahlteilnahme zu aktivieren. Auch provozieren Rechtspopulisten Gegenbewegungen, wie etwa “Pulse for Europe”, die zu einer höheren Politisierung der Gesellschaft beitragen und damit zu einem Anstieg der Demokratiequalität in diesen Bereichen. Diese positive Tendenz schlägt sich jedoch nicht im Gesamtergebnis der Analyse nieder. Die Repräsentationslücke, die Rechtspopulisten für einen Teil der Wählerschaft schließen, machen sie an anderer Stelle wieder auf, wenn es um die Repräsentation von Frauen und gesellschaftlichen Minderheiten geht. Sobald Rechtspopulisten in Regierungsverantwortung sind, sind ausschließlich negative direkte Effekte ausmachen.

Niederländisches Parteiensystem

Abbildung/Figure: Niederländisches Parteiensystem

Keinen Effekt kann man dagegen bei der Auswirkung von Rechtspopulismus auf Rechtsstaatlichkeit ausmachen. Zumindest im Untersuchungszeitraum, der bis ins Jahr 2014 reicht, ist es den Rechtspopulisten scheinbar nicht gelungen, die unabhängige Gerichtsbarkeit und damit die horizontale Gewaltenteilung ernsthaft zu beschädigen. Dieser Nicht-Effekt bleibt auch dann stabil, wenn man Sub-Prinzipien wie die Gleichheit vor dem Gesetz untersucht. Zieht man die große Zahl an Fallstudien in Betracht, die hier einen Zusammenhang postulieren, ist das eine überraschende Erkenntnis, die noch weiter untersucht werden muss. Das Ergebnis stützt die Argumentation jener Beobachter, die schon länger dem Europäischen Gerichtshof eine zentrale Schutzfunktion gegen den Abbau liberaler Freiheitsrechte zuschreiben.

Rechtspopulisten sind die Krise der Demokratie?

In Summe zeigt sich, dass die negativen Effekte von Rechtspopulisten auf die Demokratiequalität deutlich überwiegen. Leichte positive Tendenzen bei Partizipation und Repräsentation werden durch negative Effekte für den öffentlichen Raum, Minderheitenrechte und individuelle Freiheiten mehr als ausgeglichen. Alleine bei der Rechtsstaatlichkeit sind die negativen Effekte nicht wie erwartet aufgetreten. Doch sind diese Ergebnisse nun deutliche Hinweise für eine Krise der Demokratie? Zunächst zeigen sie, dass Demokratien nicht alleine durch das Auftreten von Rechtspopulisten Gefahr laufen weniger liberal und weniger demokratisch zu werden. Während die Input-Seite, also Wahlen und Repräsentation sogar teilweise aufgewertet werden, ist jedoch der liberale Teil der Demokratie unter Druck geraten. Ungarn und Polen zeigen deutlich, dass moderne Demokratie keineswegs immun gegen eine Reautokratisierung sind. Besonders vor der Beteiligung rechtspopulistischer Parteien an einer Regierungskoalition muss man im Lichte dieser Ergebnisse warnen.

Marcus Spittler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Demokratie und Demokratisierung. Sein Forschungsinteresse gilt vor allem der vergleichenden Demokratie- und Wahlverhaltensforschung, insbesondere der Bedeutung von populistischen und demokratischen Einstellungen für die Wahlentscheidung.